Spätestens seit dem 11.09.2001 reagieren Sicherheitsbehörden bei herrenlosen Gepäckstücken in Zügen mit größter Sensibilität, da ein solcher einen Sprengsatz enthalten könnte, wie Vorkommnisse in der Vergangenheit gezeigt haben.

In den allermeisten Fällen handelt es sich glücklicherweise nicht um eine Bombe, sondern das Gepäckstück wurde schlicht vom Besitzer beim Aussteigen vergessen. Im Nachgang stellt sich allerdings die Frage wer die Kosten des Polizeieinsatzes zu tragen hat.

Der Gesetzgeber hat mit Erlass der „Besondere Gebührenverordnung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat für individuell zurechenbare öffentliche Leistungen in dessen Zuständigkeitsbereich (Besondere Gebührenverordnung BMI – BMIBGebV)“ die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, dem Besitzer des Koffers die Kosten des Polizeieinsatzes auferlegen zu können.

Gemäß § 1 Nr. 1 BMIBGebV werden Gebühren erhoben, die auf Grund des Bundespolizeigesetzes (BPolG) für individuell zurechenbare öffentliche Leistungen (gebührenfähige Leistungen) erhoben werden. Gemäß Abschnitt 1 Nr. 1.1.2 (BPolG) können für einen Polizeieinsatz, der durch ein vorsätzliches oder fahrlässiges Erwecken des Anscheins einer Gefahrenlage veranlasst wurde, Gebühren und Auslagen nach Zeitaufwand erhoben werden. Ein solch fährlässiges Erwecken des Anscheins einer Gefahrenlage liegt vor, wenn das Gepäckstück beim Aussteigen aus Unaufmerksamkeit vergessen wurde.

Die Bundespolizei ist ermächtigt im Wege der Gefahrenabwehr gemäß § 14 Abs. 1 BPolG zur Erfüllung ihrer Aufgaben die nach den §§ 1 bis 7 BPolG notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, soweit nicht das Bundespolizeigesetz deren Befugnisse besonders regelt. Gefahr in diesem Sinne ist eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung im Bereich der Aufgaben, die der Bundespolizei nach den §§ 1 bis 7 BPolG obliegen. Gemäß § 3 Abs. 1 BPolG hat die Bundespolizei die Aufgabe, auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahn des Bundes Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, die

 

  1. den Benutzern, den Anlagen oder dem Betrieb der Bahn drohen oder
  2. beim Betrieb der Bahn entstehen oder von Bahnanlagen ausgehen.

 

Eine Gefahr liegt vor, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Fortgang des Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit demnächst zur Schädigung eines polizeilichen Schutzguts führen wird, Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und OrdnungsR, 5. Aufl. (2008), § 8 Rdnr. 8.

Bei einem vergessen Gepäckstück handelt es sich jedoch aus der Retrospektive nicht um eine Gefahrensituation. In einem Gepäckstück befinden sich die üblichen Dinge, die ein Reisender gewöhnlich mit sich führt. Mithin bestand zu keiner Zeit die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass ein von der Rechtsordnung geschütztes Rechtsgut Schaden nehmen wird. Die Einschätzung der Situation durch die Polizei stimmte mit der objektiv ungefährlichen Sachlage nicht überein.

Die herrschende Meinung beurteilt das für die Rechtmäßigkeit polizeilichen Einschreitens notwendige Vorliegen einer Gefahr dagegen nicht nachträglich. Vielmehr stellt sie auf die zum Handlungszeitpunkt zugänglichen Fakten und auf die Sachlage ex ante (im vornherein) ab, wie sie sich dem handelnden Beamten subjektiv darstellte. Entscheidend ist danach, dass diesem der Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich erscheint. Je näher das schädigende Ereignis bevorsteht und je größer der zu erwartende Schaden ist, desto geringere Anforderungen werden an die Prognose des Schadenseintritts gestellt, um noch als hinreichend zu gelten.

Stellt sich bei nachträglicher Beurteilung heraus, dass ein Sachverhalt objektiv nicht gefährlich war, kommt es entscheidend auf die verständige Würdigung der Sachlage durch den handelnden Polizisten und die Nachvollziehbarkeit seiner Gefahrprognose an: Wäre ein fähiger, besonnener und fachkundiger Kollege an seiner Stelle und d.h. unter den Bedingungen beschränkten Wissens und unter Zeitknappheit und Handlungsdruck zu derselben Einschätzung hinsichtlich des weiteren Geschehensfortgangs gelangt, dann liegt eine Anscheinsgefahr vor. Diese ist der echten Gefahr gleichgestellt und berechtigt zu einer Gefahrenabwehrmaßnahme.

Beruht die Einschätzung dagegen von vornherein auf nicht nachvollziehbaren Annahmen oder fernliegenden Prognosen, dann soll keine zum Eingreifen berechtigende, sondern lediglich eine Schein- oder Putativgefahr vorliegen, Schenke, Polizei- und OrdnungsR, 6. Aufl. (2009), Rdnr. 82.

Alle Maßnahmen der Polizei sind stets unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 15 BPolG) und nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 16 BPolG) zu beurteilen. So ist von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen diejenige zu treffen, die den einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt, § 15 Abs. 1 BPolG.

Ein herrenloses Gepäckstück in einem Zug könnte selbstverständlich eine Bombe enthalten. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass ein Fahrgast das Gepäckstück vergessen hat. Im Rahmen der angesprochenen Verhältnismäßigkeit ist daher bei Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens die geeignetste und einfachste Maßnahme, zunächst zu ermitteln, ob ein solches Gepäckstück vermisst wird, z.B.  durch Nachfrage bei der Fundstelle der Deutschen Bahn.

Aus anwaltlicher Vorsicht ist anzuraten, unverzüglich den Verlust bei der Deutschen Bahn und/oder der Bundespolizei zu melden. Dies erspart der Polizei nicht notwendige Einsätze und bewahrt den Besitzer vor unangenehmen Überraschungen in Form eines Kostenbescheids im Nachgang.

 

Philipp Amon

Rechtsanwalt